Freitag, 24. September 2010

Detlev Wissinger: Abschied vom "besten Urwaldarzt der Welt"

Bild von Jane Booth/Allen P. Zak Science Discovery Center / Ein Traum vom Urwald/Thank you!






Kurz bevor ich auf den Nachruf Detlev Wissingers im "Tagesspiegel" stieß, war mir durch einen Bilder-Suche-Zufall obriges Bild aufgefallen. Ich finde, beide gemeinsam ergeben ein lebendiges Bild eines aussergewöhnlichen Lebens in und für Afrika. 

Alles begann in den 1930iger Jahren - zunächst einmal mit einem großen Traum. Es war der Abenteuertraum eines kleinen, deutschen Jungen, der sich zusammen mit seinen Freunden durch den gefährlichen Dschungel  - eigentlich ja nur der riesige, verwilderte Garten der Nachbarn - bis hin in sein geliebtes Afrika durchschlug. Und es endete, dieses abenteuerliche Leben, in seiner Geburtsstadt Stahnsdorf bei Berlin mit einer Grabstätte, die eigentlich eine kunst- und ehrenvolle Gedenkstätte  ist:


Fotos:  Abb. 1: Das Grabmal Wissinger von Max Taut mit der Grabplatte H.O. Julius Wissinger/ Abb. 2: Das Grabmal Wissinger nach dem orkanartigen Sturm, 2002
Detlev Wissinger (Geb. 1922) - Nachrufe - Berlin - Tagesspiegel
von Thomas Loy

"Das Nachbargrundstück der Familienvilla in Karolinenhof an der Dahme war verwaist und verwildert. Hier lag Afrika, roh und unerschlosssen. Ein Urwald, „wo wir wegen anstürmender Löwen auf die Bäume klettern mussten“. Jung-Detlev durchstreifte den Busch mit einem Massai-Speer, den er bei einem Antiquitätenhändler in Charlottenburg erworben hatte. „Schon damals stand für mich fest, dass ich Afrikaforscher werden wollte...
...Die „Erfüllung“ seines Lebens begann 1961 mit einer Anstellung in Nigeria als „bester Arzt der Welt“. So schreibt es Detlev Wissinger in seinen „Erinnerungen eines Tropenarztes – Lebensweg eines Idealisten“. Der zuständige Minister von „Eastern Nigeria“ hatte seinen Wählern versprochen, den besten Arzt der Welt zu verpflichten. Wie er auf Dr. Wissinger kam, verraten die Erinnerungen nicht...."


Der Mann aus Deutschland war auf seinem Weg in den echten Urwald Afrikas zielstrebig und ausdauernd, aber er war auch ein Kind seiner Zeit: Abenteuerautor Karl May und Dr. Albert Schweitzer, ein "Heiliger" mit Buschkrankenhaus, werden sein Bild von Afrika und seiner Aufgabe dort mitgeprägt haben. So erklärt sich auch, dass die eine oder andere Passage seiner Autobiografie, die 1997 erschien, so heute (wegen der berühmten "political correctness") sicher nicht gedruckt worden wäre. Dem Doktor gefielen die afrikanischen Mädchen und Frauen, hauptsächlich wegen ihrer erotischen Reize und der "Exotic" - wie er in seinen Erinnerungen ganz unbefangen berichtet:

Erinnerungen eines Tropenarztes: Amazon.de: Detlev Wissinger: Bücher
( Lese-Auszug, mit Fotos)
"...Später beim Militär während des Zweiten Weltkrieges sagte einer meiner Kameraden: "Ein Weltreisender hat mir einmal gesagt, am besten lieben die schwarzen Frauen aus Afrika!" Die Wahrheit dieses Ausspruchs konnte ich damals noch nicht beurteilen...

...Als ich ging, fragte mich die Frau Ministerin, ob ich wohl auch wegen der Vorzüge der schwarzen Frau so lange in Afrika gebleiben sei. Ich musste es bejahen."
Detlev Wissinger (Geb. 1922) - Nachrufe - Berlin - Tagesspiegel

"...In Nigeria blieb Detlev Wissinger neun Jahre, Zeit genug, um die Landessprache Igbo zu erlernen und das freizügige wie korrupte Gesellschaftgefüge zu studieren. Er saugte alles auf, ohne es zu werten. „Ein Buschmädchen kostete damals 150 Mark, eine ausgebildete Hebamme 1500. Der zukünftige Ehemann war also völlig bankrott, wenn er die Ehe endlich geschlossen hatte. Von dem Brautpreis kaufte sich der Vater vielleicht eine neue Frau.“
Detlev Wissinger praktizierte als Chirurg und wegen des großen Bedarfs bald auch als Allroundmediziner und Geburtshelfer. Er durchlebte Hitze, Hunger, Krankheiten und Chaos ohne einen Anflug von Jammer oder Reue. Nigeria gefiel ihm gut, selbst als der östliche Teil, Biafra im Bürgerkrieg versank. Die Kinder mit den aufgeblähten Bäuchen und Hungerödemen: Was die Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt erschütterte, beschrieb Wissinger mit der sachlichen Strenge des Arztes..."
Buchcover "Erinnerung eines Tropenarztes/ Amazon

Aber Detlev Wissinger scheute sich auch nicht,  ganz persönlich  einzugreifen und Verantwortung zu übernehmen: So nahm er sich 1989 eines kleinen Jungen an, dessen Mutter bei der Geburt gestorben war. Zusammen mit dem Kind - das heute in Deutschland ein gefragter Musiker und Schauspieler ist - ging es zunächst zurück in die Heimat und zur Familie.

"Ewane (Künstlernamen auch ML, Boy Boy und J.B.E genannt) wurde am 31. Mai 1988 in Kumba, Kamerun als Barrow- Ewane Makia geboren. Seine Mutter, Mary Ndie Mulango verstarb bei seiner Geburt.

1989 nahm der deutsche Arzt Dr. Detlev Wissinger, der die Vater Rolle für Ewane übernommen hat, den damals einjährigen Ewane und seine Ersatzmutter mit nach Deutschland.

Bereits mit 6 Jahren begann Ewane mit dem Klavierspiel. Seine Lehrer bestanden auf Volksmusik, doch Ewane spielte lieber Beethoven. Mit 8 kam er auf eine Musikschule in Hamburg, wo er auch Ballett Unterricht nahm. Später folgten Kurse an der Tanz- und Schauspielschule „On Stage“..."


ewane music | I'm a Scandal! | Coming soon...


Doch lange hielt der leidenschaftliche Arzt das Leben in der bürgerlichen, deutschen Idylle nicht aus. Nach einem Stopp auf einem Lazarettschiff vor Vietnam kehrte erzurück in "sein" geliebtes Afrika:

Detlev Wissinger (Geb. 1922) - Nachrufe - Berlin - Tagesspiegel


"...Bekam er Zeit für einen kurzen Urlaub, besuchte er Hilfsschwestern oder ehemalige Patienten in ihren Dörfern, lebte wie sie im Busch. Er lobte dieses einfache Leben, ohne dem Luxus eines Empfangs beim Gesundheitsminister eine Woche später zu entsagen.
1986 kehrte Detlev Wissinger nach Deutschland zurück. Er hatte das Pensionsalter noch nicht ganz erreicht, aber Liberia war bankrott und wollte seinen Arbeitsvertrag nicht mehr verlängern....

...Er war etwas wunderlich geworden, kam mit dem Verkehrsgeschehen einer Großstadt nicht mehr zurecht, zog sich aber nicht zurück wie andere Betagte. An seinen hohen Geburtstagen hielt er selbst die Rede, zu wechselnden Themen, etwa dem „Arbeitsethos“. Einige afrikanische Potentaten hatten ihn in dieser Hinsicht schwer enttäuscht. Seine Aufzeichnungen enden mit einem Nietzsche-Zitat: Memento vivere – Denke daran zu leben. Daran hielt er sich. Als ihn dennoch der Tod ereilte, war er gerade beim Zubettgehen."

Nigeria Nachrichten


Fotos: Thank you! Dankeschön!

1. Bild von Jane Booth/Allen P. Zak Science Discovery Center
2. Grabstätte Wissinger in Stahnsdorf: Abb.1: Detlev Wissinger/ Abb.2: Förderverein Südwestkirchhof Stahnsdorf e.V.
3. Buchcover "Erinnerung eines Tropenarztes/ Amazon 
4. Ewane, Foto Website: http://www.myspace.com/ewanecity#ixzz10PFMh71e
.... 

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